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Wir hier drinnen

Das beispielhafte Haus

von Jakob Dürr

Haus 25 ist etwas ganz Besonderes. Damit meine ich nicht das Internatskonzept oder die    Bewohner. Nein, Haus 25 wurde mit dem Architekturpreis „Beispielhaftes Bauen“ der Architekturkammer Baden-Württemberg ausgezeichnet. Jetzt ließe sich einwenden, dass sehr vieles gegen eine Auszeichnung des Hauses spricht, wie z.B. die Schalldurchlässigkeit der Wände, die Größe der Zimmer, die ästhetisch ansprechenden Decken, das Material des Fußbodens (welches anfängt zu stinken, wenn man es nass wischt), das an Strafgefangenenlager erinnernde Aussehen der Flure und nicht zuletzt der Riss in meiner Wand, den ich vor kurzem entdeckte. Doch nachdem ich die Begründung der Vergabe des Preises recherchierte, musste ich feststellen, dass anscheinend andere Aspekte wichtiger waren.

Hier einige Auszüge: „ Zwei Terrassenanlagen erschließen die Obergeschosse und führen zu den Wohngruppen, die im wesentlichen gleichförmige Zimmer aufweisen und somit im übertragenen Sinne die Gleichheit aller Schüler unterstreichen.“

Ist nicht einer der wichtigsten Bestandteile unseres Schulkonzepts das individuelle Fördern und Fordern? Des Weiteren glaube ich kaum, dass die Zimmer aus diesem Grund gleichförmig sind, sondern eher des Platzes wegen.

„Die zurückhaltende, aber angemessene und selbstbewusste Gestaltung sowie die reduzierte Materialwahl überzeugen und führen dazu, das Rückgrat der Kaserne mit den bestehenden historischen Gebäuden und dem Baumbestand spürbar werden zu lassen.“

Die „zurückhaltende Materialwahl“ ist dann wohl auch verantwortlich für den Riss in meiner Wand, die ungestrichenen Betondecken, die immer-kaputten Türen, den furchtbar hässlichen Fußboden, die extreme Schalldurchlässigkeit der Wände und die enorme Größe der Zimmer. Aber wenigstens wird der Baumbestand spürbar. Das ist ja anscheinend das Wichtigste.

„Der Weg zu den Wohngruppen führt über zwei Terrassenanlagen, welche die Gemeinschaft und Kommunikation fördern“

Mit „Terassenanlagen“ sind wohl die hölzernen Plattformen gemeint, auf denen wohl niemand jemals länger als nötig Zeit verbracht hat, es sei denn er hat seinen Transponder vergessen.

Zu den WGs steht folgendes: “ Die mittlere Gruppe in den beiden oberen Geschossen ist flexibel angelegt. Die jeweils äußeren Gruppen können sich vergrößern bzw. verkleinern.“

Entweder ich wohne im falschen Haus, oder meine Auffassungsgabe ist sehr begrenzt, doch ich habe noch nie bemerkt, dass man die äußeren WGs vergrößern kann, außer man meint die Zimmer zwischen den WGs, doch das würde voraussetzen, dass irgendjemand das Bedürfnis hat, im Durchgang vor Fußmatte und ständig summendem Transponderschloss zu wohnen. Inwiefern die mittlere WG flexibel sein soll, geht mir auch nicht ganz auf.

Wer die gesamte Begründung lesen will, kann das unter untenstehendem Link tun.

Ich kenne die konkreten Kriterien dieses Preises nicht, doch Wohnlichkeit und praktischer Nutzen standen wohl nicht besonders weit oben auf der Liste. Man sollte sich allerdings fragen, ob ein Preis, dessen Vergabe derartig begründet wird, wirklich als Auszeichnung zu verstehen ist.

Er ist für „beispielhaftes Bauen“ vergeben worden, was ja meint, dass es gut sei, wenn alle Neubauten so errichtet würden. Doch ich weiß nicht, ob das ist eine besonders schöne Vorstellung ist.

-> Begründung der Vergabe des Preises

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Quelle: derfarbfleck
Website: http://www.derfarbfleck.de/old
Autor: derfarbfleck
Veröffentlichung: 14. October 2012
Kategorie: Wir hier drinnen

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